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Unsere Verantwortung, nach geistlichen Gaben zu streben und für sie zu beten

  • Jürgen Justus
  • 11. Apr.
  • 7 Min. Lesezeit

Teil 4 unserer Blogreihe über das Verständnis geistlicher Gaben


In den vorherigen Artikeln dieser Reihe haben wir die Natur der geistlichen Gaben, ihren Zweck und ihre Vielfalt betrachtet. Wir haben gesehen, dass jeder Christ mindestens eine geistliche Gabe empfangen hat, und dass viele mehrere Gaben besitzen können. Doch nun stehen wir vor einer entscheidenden Frage: Wenn der Heilige Geist souverän entscheidet, wem er welche Gaben gibt – was ist dann unsere Rolle in diesem Prozess?


Ein göttliches Gebot, nicht nur eine Option

Sam Storms beginnt Kapitel 4 seines Buches "Understanding Spiritual Gifts" mit einer klaren Aussage: Obwohl die Verteilung der Gaben letztendlich dem souveränen Willen des Heiligen Geistes unterliegt (1. Korinther 12,11), bedeutet dies keineswegs, dass wir passiv bleiben sollen.


Tatsächlich finden wir in 1. Korinther 12-14 vier eindeutige Aufforderungen, die unsere Verantwortung betonen:

"Strebt aber nach den größeren Gnadengaben!" (1. Korinther 12,31)
"Jagt der Liebe nach! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede!" (1. Korinther 14,1)
"So auch ihr: Da ihr euch bemüht um die Gaben des Geistes, so trachtet danach, dass ihr die Gemeinde erbaut." (1. Korinther 14,12)
"Darum, liebe Brüder, bemüht euch um die Gabe der prophetischen Rede und wehrt nicht der Zungenrede." (1. Korinther 14,39)

Das griechische Wort, das in diesen Versen mit "strebt" oder "bemüht euch" übersetzt wird, ist zēloute – ein Verb, das intensives Verlangen, leidenschaftliches Streben und eifriges Bemühen ausdrückt. Storms betont, dass es sich hier nicht um eine bloße Erlaubnis oder einen guten Rat handelt, sondern um einen klaren Befehl. Wenn wir nicht aktiv nach geistlichen Gaben streben, insbesondere nach der Gabe der Prophetie, missachten wir ein apostolisches Gebot!


Das Streben nach geistlichen Gaben ist keine optionale Aktivität für besonders "charismatisch" veranlagte Christen. Es ist ein göttlicher Auftrag an jeden Gläubigen, der die Gemeinde aufbauen und dem Leib Christi dienen möchte.


Häufige Missverständnisse aufklären

Sam Storms identifiziert einige häufige Missverständnisse, die viele Christen davon abhalten, aktiv nach geistlichen Gaben zu streben:


Missverständnis 1: "Die Aufforderung gilt nur der Gesamtgemeinde, nicht Einzelnen"

Manche argumentieren, dass Paulus' Gebot im Plural steht und daher nur an die Gemeinde als Ganzes gerichtet sei, nicht an einzelne Gläubige. Storms zeigt die Schwäche dieses Arguments auf: Fast alle paulinischen Ermahnungen stehen im Plural, weil sie an Gemeinden gerichtet waren! Das bedeutet keineswegs, dass der Einzelne von der Verantwortung entbunden ist.

Wie könnte eine Gemeinde als Ganzes nach geistlichen Gaben streben, wenn nicht jedes Mitglied individuell daran beteiligt wäre? Der kollektive Gehorsam beginnt immer beim persönlichen Gehorsam.


Missverständnis 2: "Paulus stellt nur eine Tatsache fest, gibt aber keinen Befehl"

Einige behaupten, Paulus würde in 1. Korinther 12,31 nur beschreiben, was die Korinther bereits taten, nicht was sie tun sollten. Storms weist auf mehrere Probleme dieser Interpretation hin:


  1. Die Korinther strebten gerade NICHT nach den größeren Gaben, sondern überbewerteten die Zungenrede.

  2. Der Kontext zeigt, dass "größere Gaben" solche sind, die besser geeignet sind, andere aufzubauen – was die Korinther ebenfalls vernachlässigten.

  3. Dasselbe Verb wird in 14,1 und 14,39 eindeutig als Imperativ (Befehlsform) verwendet.


Dies ist ein wichtiger Punkt: Es geht nicht darum, nach spektakulären oder auffälligen Gaben zu streben, sondern nach jenen, die am effektivsten zur Erbauung der Gemeinschaft beitragen.


Wie sollen wir auf diesen Befehl reagieren?


Storms beschreibt verschiedene Reaktionen auf Paulus' Befehl:


  1. Manche erkennen die fortdauernde Gültigkeit aller geistlichen Gaben an und gehorchen dem Befehl.

  2. Andere glauben, dass bestimmte Gaben (wie Prophetie) aufgehört haben, und betrachten den Befehl als nicht mehr anwendbar.

  3. Wieder andere definieren Prophetie um (z.B. als Predigt), um sowohl dem Befehl zu gehorchen als auch Cessationisten zu bleiben.

  4. Viele erkennen die Möglichkeit der Gültigkeit aller Gaben an, gehorchen aber aus Angst oder Vernachlässigung nicht.


Für uns stellt sich die Frage: Zu welcher Gruppe gehören wir? Wie reagieren wir auf die klare biblische Aufforderung, nach geistlichen Gaben zu streben?


Keine Angst vor dem Übernatürlichen

Storms spricht direkt eine Befürchtung an, die viele Gemeindeleiter haben: "Was sollen wir tun, wenn Menschen zunehmend hungrig nach dem übernatürlichen Wirken des Geistes werden?"


Hinter dieser Frage steht oft die Angst, dass ein gesteigertes Interesse an geistlichen Gaben zu Vernachlässigung der Lehre, mangelnder Reife oder exzessivem Verhalten führen könnte. Doch Storms weist darauf hin, dass Paulus' Antwort auf diese Bedenken überraschend ist: Er ermutigt die Korinther – trotz ihrer Unreife und Missbrauchsanfälligkeit – weiterhin, eifrig nach geistlichen Gaben zu streben!


Aus dieser scheinbar paradoxen Situation können wir wichtige Lektionen ziehen:


Lektion 1: Charakter geht vor Begabung

Storms betont, dass Charakter immer Vorrang vor Begabung hat. Die Frucht des Geistes (Liebe, Freude, Friede...) ist wichtiger als seine Gaben. Die Probleme in Korinth entstanden nicht durch die Gaben selbst, sondern durch unreifen Charakter bei deren Ausübung.

Dies erklärt, warum Paulus in 1. Korinther 14,1 sagt: "Jagt der Liebe nach! Bemüht euch um die Gaben des Geistes..." Die Reihenfolge ist entscheidend: Zuerst die Liebe, dann die Gaben.


Lektion 2: Eifer für Gaben ist gut und gottgewollt

Zu jenen, die hungrig nach der Kraft des Heiligen Geistes und seinen Gaben sind, sagt Storms unmissverständlich: "Gut! Gott segne euch!" Paulus wünschte, dass alle prophezeien (1. Korinther 14,5) und ermutigte die Korinther in ihrem Eifer für die Manifestationen des Geistes (14,12).


Das bedeutet für uns: Wir sollten den Hunger nach geistlichen Gaben nicht dämpfen, sondern fördern – allerdings in Verbindung mit der Förderung geistlicher Reife und Charakterentwicklung.


Lektion 3: Die Lösung für Missbrauch ist nicht Nichtgebrauch, sondern richtiger Gebrauch

Eines der wertvollsten Prinzipien, die Storms hervorhebt: Wenn wir Missbrauch von geistlichen Gaben erleben, sollte unsere Reaktion nicht sein, die Gaben zu unterdrücken oder zu verbieten, sondern zu lernen, wie sie richtig und in Liebe eingesetzt werden.


Storms beschreibt einen typischen dreistufigen Prozess, wie Gemeinden oft reagieren:


  1. Wir sehen etwas, das schlecht gemacht wird (Missbrauch einer Gabe)

  2. Wir entwickeln eine emotionale Abneigung gegen alles, was ähnlich aussieht

  3. Wir beschließen, Regeln aufzustellen, die solches Verhalten verbieten


Diese Reaktion ist verständlich, aber sie entspricht nicht Paulus' Antwort. Er verbietet den Korinthern nicht die Ausübung der Gaben, sondern gibt ihnen Richtlinien für den richtigen Gebrauch.


Gottes Souveränität und unsere Verantwortung

Eine Kernfrage bleibt: Wie können wir um bestimmte Gaben bitten, wenn der Heilige Geist souverän entscheidet, wer welche Gaben erhält? Storms bietet eine ausgewogene Antwort:

"Wenn Gott seinen Kindern einen Segen schenken möchte, weckt er zunächst das Bewusstsein für dessen Notwendigkeit und regt dann ihre Herzen an, ihn darum zu bitten. Unsere Gebete sind oft genau das Mittel, das Gott verwendet, um zu geben, was er geben möchte."

Unsere Verantwortung zu beten steht nicht im Widerspruch zu Gottes Souveränität. Vielmehr ist das Gebet eines der Mittel, durch die Gott seinen souveränen Willen verwirklicht.


Storms weist auf verschiedene Wege hin, wie der Geist seine Gaben vermitteln kann:


  • Als Antwort auf unsere Gebete (1. Korinther 14,13)

  • Durch Prophetie und Handauflegung (1. Timotheus 4,14; 2. Timotheus 1,6)

  • Durch direkte souveräne Zuteilung (1. Korinther 12,11)


In seiner Gemeinde laden sie regelmäßig Menschen ein, die eine bestimmte Gabe begehren, nach vorne zu kommen. Die Gemeinde legt ihnen die Hände auf, wartet auf prophetische Eindrücke und betet für die Erfüllung des Willens des Geistes. Diese Praxis hat zu zahlreichen Zeugnissen geführt, wo Menschen genau die Gaben empfingen, um die sie gebetet hatten. Ich lade jeden in unserer Gemeinde ein das Gleiche zu tun.


Dem Schicksalsglauben widerstehen

Storms widerlegt die fatalistische Haltung mancher Christen, die behaupten: "Wenn Gott will, dass du eine Gabe hast, wird er sie dir geben, egal ob du darum bittest oder nicht."


Er zeigt, dass diese Haltung sowohl unbiblisch als auch inkonsequent ist:


  • Sie entwertet das Gebet, das Jesus eindeutig befohlen hat

  • Sie ignoriert das biblische Prinzip "Ihr habt nicht, weil ihr nicht bittet" (Jakobus 4,2)

  • Sie verkennt Gottes Handeln in der Kirchengeschichte, wo geistliche Gaben oft dort fehlten, wo man nicht an sie glaubte und nicht um sie bat


Das bedeutet für uns: Wir dürfen nicht passiv darauf warten, dass Gott auf magische Weise geistliche Gaben austeilt. Wir müssen aktiv darum bitten, danach streben und sie im Glauben empfangen.


Storms fasst dies in einem kraftvollen Prinzip zusammen:

"Wir sollten niemals erwarten, dass Gott für uns ohne Gebet tut, was er in seinem Wort versprochen hat, nur durch Gebet für uns zu tun."

Praktische Anwendung

Wie können wir diese Erkenntnisse umsetzen?


  1. Lehrt über geistliche Gaben – Helft euren Gruppenmitgliedern, die biblischen Grundlagen zu verstehen und falsche Vorstellungen zu korrigieren.

  2. Schafft eine Gebetskultur für geistliche Gaben – Nehmt euch regelmäßig Zeit, um gemeinsam um Gaben zu bitten, besonders um jene, die eure Gruppe am meisten braucht.

  3. Übt Handauflegung und prophetisches Gebet – Folgt dem Muster aus 1. Timotheus 4,14, indem ihr für Mitglieder betet, die nach bestimmten Gaben streben.

  4. Ermutigte zur Ausübung – Gebt Raum, damit Menschen ihre Gaben in sicherer Umgebung ausprobieren können, wo Fehler erlaubt sind und man daraus lernen kann.

  5. Achtet auf Charakterbildung – Betont immer wieder, dass Liebe und Reife Hand in Hand mit geistlichen Gaben gehen müssen.


Ein praktisches Beispiel könnte so aussehen:

Eure Zellgruppe widmet einen Abend dem Thema "Prophetie als Ermutigung". Nach einem kurzen Bibelstudium über 1. Korinther 14,1-5 betet ihr gemeinsam und bittet den Heiligen Geist, euch prophetische Eindrücke zu schenken. Jeder nimmt sich Zeit, auf Gottes Stimme zu hören. Dann teilt ihr reihum ermutigende Worte, Bibelverse oder Bilder mit, die ihr für andere Gruppenmitglieder empfangen habt. Ihr wertet gemeinsam aus, was diese Worte bedeuten könnten, und dankt Gott für seine Führung.


Fazit: Eine Einladung zum aktiven Gehorsam

In diesem Kapitel fordert Sam Storms uns heraus, die klare biblische Aufforderung ernst zu nehmen: Wir sollen aktiv nach geistlichen Gaben streben, besonders nach jenen, die am besten der Erbauung der Gemeinde dienen.


Diese Aufforderung ist kein optionaler Vorschlag, sondern ein göttliches Gebot. Sie steht nicht im Widerspruch zu Gottes Souveränität, sondern ist das von Gott erwählte Mittel, durch das er seine Gaben verteilen möchte.


Wenn wir beginnen, dieses Gebot ernst zu nehmen, werden wir eine neue Dimension des geistlichen Lebens entdecken. Wir werden erleben, wie der Heilige Geist durch jeden Einzelnen wirkt, wie er Herzen berührt, Leben verändert und die Gemeinschaft zu ihrer vollen Statur in Christus aufbaut.


Die Frage ist nicht, ob Gott seine Gaben geben möchte – die Frage ist, ob wir bereit sind, darum zu bitten, danach zu streben und sie in Liebe zu empfangen und einzusetzen.


Reflexionsfragen

  1. Welche Faktoren haben dich bisher möglicherweise davon abgehalten, aktiv nach geistlichen Gaben zu streben?

  2. Wenn du über 1. Korinther 14,1 nachsinnst ("Jagt der Liebe nach! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede!") – wie würde ein vollständiger Gehorsam gegenüber diesem Vers in deinem Leben aussehen?

  3. Welche geistlichen Gaben scheinen zu fehlen oder unterentwickelt zu sein? Wie könntet ihr gemeinsam darüber beten?

  4. Wie könnt ihr in eurer Gruppe eine Atmosphäre schaffen, in der sowohl geistliche Gaben als auch Charakterbildung gefördert werden?

  5. Welche konkreten Schritte könnt ihr in den nächsten Wochen unternehmen, um in diesem Bereich zu wachsen?


"Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan." (Matthäus 7,7)


 

Dieser Artikel ist Teil einer Blogreihe über geistliche Gaben, basierend auf dem Buch "Understanding Spiritual Gifts" von Sam Storms.

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