top of page

Die Wahrheit über dich selbst - Warum Ehrlichkeit der erste Schritt zur Freiheit ist

  • Jürgen Justus
  • 4. Juni
  • 7 Min. Lesezeit

"Ich wollte das gar nicht!"

Ein kleiner Junge, vielleicht vier Jahre alt, liegt auf dem Boden und schreit. Der Grund? Seine Mutter hat ihm keine Süßigkeiten gekauft. Aber das Faszinierende war nicht sein Wutanfall – es war sein trotziges Brüllen: "Ich wollte das gar nicht!"


Jeder konnte sehen, dass das nicht stimmte. Er hatte die Süßigkeiten definitiv gewollt. Sehr sogar. Aber in seinem kleinen Kopf war es einfacher zu behaupten, er hätte sie nie gewollt, als zuzugeben, dass er enttäuscht war.


Wenn ich solche Szenen sehe, dann muss ich manchmal innerlich lächeln. Nicht über den Jungen – sondern über mich. Denn ich erkannte mich in diesem kleinen Jungen wieder.


Deine eigene Entschuldigungsmaschine


Wir alle haben eine eingebaute Entschuldigungsmaschine. Sie läuft rund um die Uhr und produziert Gründe, warum du eigentlich immer im Recht bist:


  • "Ich habe nur so harsch reagiert, weil ich müde war."

  • "Ich war nicht neidisch – ich habe nur objektiv festgestellt, dass die Beförderung unfair war."

  • "Ich habe nicht gelogen – ich habe nur nicht die ganze Wahrheit gesagt."

  • "Ich bin nicht verbittert – ich bin nur realistisch geworden."


Diese Selbstrechtfertigungen kommen so automatisch, dass du sie meist nicht einmal bemerkst. Dein Verstand arbeitet wie ein geschickter Anwalt, der jede deiner Handlungen verteidigt, jeden deiner Gedanken rechtfertigt.


Die Kameralinse deines Herzens


Stell dir vor, dein Herz wäre wie die Blende einer Kamera. Weit geöffnet lässt sie viel Licht herein – du siehst scharf und deutlich, aber auch alle Details, die schönen und die hässlichen. Eng geschlossen schützt sie vor zu viel Helligkeit, aber das Bild wird unscharf und dunkel.


Die meisten von uns leben mit einer halb geschlossenen Herzensblende. Du siehst gerade genug, um zu funktionieren, aber nicht genug, um wirklich ehrlich mit dir selbst zu sein. Es ist sicherer so. Weniger schmerzhaft. Aber auch weniger lebendig.


Der gefährliche Moment der Ehrlichkeit


Lisa saß in ihrem Auto vor dem Haus ihrer Schwester und konnte sich nicht überwinden auszusteigen. Durch das Fenster sah sie die perfekte Familie: ordentlich gekleidete Kinder, die friedlich spielten, ein Ehemann, der seiner Frau beim Kochen half, ein Haus, das aussah wie aus einer Zeitschrift.


Und dann überfiel sie dieser Gedanke: "Ich hasse mein Leben."


Der Gedanke kam so plötzlich und so heftig, dass sie erschrak. Gute Mütter denken so etwas nicht. Gute Ehefrauen sind dankbar für das, was sie haben. Gute Christen meckern nicht.


Aber da war er, dieser Gedanke. Real und schmerzhaft ehrlich.


Lisa hätte ihn verdrängen können. Hätte sich eingeredet, dass sie nur einen schlechten Tag hatte. Hätte sich selbst überzeugt, dass sie eigentlich glücklich war.

Stattdessen tat sie etwas Mutiges: Sie ließ den Gedanken zu. Schaute ihn an. Und erkannte, dass darin ein Körnchen Wahrheit steckte.


Die Lüge der perfekten Selbstkontrolle


Unsere Kultur erzählt uns, dass wir die Herren unseres eigenen Schicksals sind. Dass du rational entscheiden kannst, was richtig und falsch ist. Dass dein Wille stark genug ist, dich auf Kurs zu halten.


Aber wenn du ehrlich bist, weißt du: Das stimmt nicht.


Warum explodierst du manchmal wegen Kleinigkeiten? Warum triffst du Entscheidungen, die du später bereust? Warum tust du Dinge, von denen du weißt, dass sie falsch sind?

Warum ist da diese Kluft zwischen dem, was du weißt, und dem, was du tust? Zwischen dem, was du sagst, und dem, was du fühlst?


Michael und die Versuchung


Michael war glücklich verheiratet. Zumindest sagte er das allen, auch sich selbst. Die Ehe war solide, die Routine eingespielt. Nichts Dramatisches.


Dann kam die neue Kollegin. Intelligent, witzig, interessiert an seinen Projekten. Sie hörte ihm zu, wenn er von seinen Ideen erzählte. Sie lachte über seine Witze.


Anfangs redete er sich ein, es wäre nur kollegiale Freundschaft. Dann wurde es zu verlängerten Mittagspausen. Zu Nachrichten nach Feierabend. Zu "zufälligen" Begegnungen am Kaffeeautomaten.


Als sie ihn fragte, ob sie nicht mal einen Kaffee trinken gehen wollten – "nur als Freunde" – spürte Michael plötzlich eine innere Alarmglocke.


Nicht wegen der Einladung. Sondern wegen seiner Reaktion darauf. Wegen des Gefühls von Aufregung. Wegen des Gedankens: "Nur einen Kaffee. Das ist doch harmlos."


In diesem Moment sah Michael sich selbst klar. Und er erschrak über das, was er sah.


Die Scham der unausgesprochenen Gedanken


Wir alle haben sie: die Gedanken, die du niemals aussprechen würdest. Die Wünsche, für die du dich schämst. Die Gefühle, die nicht zu deinem Selbstbild passen.


  • Der Neid auf den Erfolg des Kollegen

  • Die Bitterkeit über unerfüllte Träume

  • Die Wut auf Menschen, die du eigentlich liebst

  • Die Langeweile in der Beziehung, die einmal voller Leidenschaft war

  • Der Stolz, der sich als Demut tarnt

  • Die Angst, die sich als Vorsicht ausgibt


Diese Gefühle machen dir Angst, weil sie nicht zu dem Bild passen, das du von dir selbst hast. Also versteckst du sie. Verdrängst sie. Rechtfertigst sie weg.


Aber versteckte Gefühle verschwinden nicht. Sie gären. Sie vergiften. Sie explodieren irgendwann an den unpassendsten Momenten.


Die Frau, die ihre Wahrheit aussprach


Denk an die Frau in der bekannten Geschichte am Brunnen. Sie kam mittags, wenn niemand sonst da war. Sie mied die anderen Frauen. Fünf gescheiterte Beziehungen, die sechste nicht einmal offiziell.


Als der Fremde ihr ihre ganze Lebensgeschichte erzählte, hätte sie weglaufen können. Hätte leugnen können. Hätte lügen können.


Stattdessen geschah etwas Unerwartetes: Sie fühlte sich verstanden. Zum ersten Mal nicht verurteilt, sondern gesehen.


Und das veränderte alles.


Sie rannte zurück in die Stadt – zu denselben Menschen, vor denen sie sich versteckt hatte – und sagte: "Kommt, seht einen Menschen, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe!"

Aus Scham wurde Mut. Aus Verstecken wurde Einladung. Aus Lüge wurde Wahrheit.


Der Mut zur Selbsterkenntnis


Echte Selbsterkenntnis erfordert Mut. Den Mut, die Blende deines Herzens weit zu öffnen und hinzusehen – auch wenn das, was du siehst, dir nicht gefällt.

Es ist der Mut zu sagen:


  • "Ja, ich bin manchmal neidisch."

  • "Ja, ich habe Gedanken, für die ich mich schäme."

  • "Ja, ich bin nicht so selbstlos, wie ich tue."

  • "Ja, ich bin enttäuscht von meinem Leben."

  • "Ja, ich kämpfe mit Versuchungen."


Anna und der Moment der Wahrheit


Anna war die erfolgreiche Karrierefrau, die scheinbar alles im Griff hatte. Managerin in einem internationalen Konzern, perfekt geschminkt, immer kompetent, immer verfügbar für ihre Kollegen und Kunden. Ihr LinkedIn-Profil glänzte vor Erfolgen.


Bis zu dem Tag, an dem ihre beste Freundin sie nach einem besonders stressigen Projekt fragte: "Anna, bist du eigentlich noch glücklich mit dem, was du tust?"


Die Frage traf wie ein Blitz. Denn zum ersten Mal in Jahren musste Anna ehrlich darüber nachdenken. Und die Antwort erschreckte sie.


Nein. Sie war nicht glücklich. Sie war erschöpft. Ausgebrannt. Und tief im Inneren hasste sie die meisten ihrer Aufgaben, lebte nur noch für das Wochenende und träumte heimlich davon, alles hinzuschmeißen und etwas völlig anderes zu machen.


Diese Erkenntnis war schmerzhaft. Aber sie war auch der Anfang ihrer Heilung.


Die Gefahr des "souveränen Selbst"


Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die zu weit in die andere Richtung gehen. Die ihre Ehrlichkeit als Rechtfertigung für alles verwenden:


"Das ist halt, wer ich bin.""Ich bin eben authentisch.""Ich kann mich nicht verstellen."


Aber Ehrlichkeit ohne Verantwortung ist nicht Mut – es ist Egoismus. Selbsterkenntnis ohne den Wunsch nach Veränderung ist nicht Weisheit – es ist Selbstverliebtheit.


Wahre Ehrlichkeit führt nicht zu "Ich kann machen, was ich will", sondern zu "Ich sehe, was in mir ist, und ich will Hilfe dabei, es zu verändern."


Das Herz als Zentrum der Veränderung


Wir leben in einer Welt, die an die Macht des positiven Denkens glaubt. "Verändere deine Gedanken, und du veränderst dein Leben."


Aber echte Veränderung passiert tiefer als nur in deinem Kopf. Sie passiert in deinem Herzen – dem Ort, wo deine tiefsten Überzeugungen, Ängste und Sehnsüchte wohnen.


Das Problem ist nicht nur, dass du das Falsche denkst. Das Problem ist, dass du das Falsche willst. Dass dein Herz gespalten ist. Dass du gleichzeitig das Gute willst und das Schlechte begehrst.


Der Weg zur Heilung


Die gute Nachricht ist: Du musst nicht in deiner Unehrlichkeit gefangen bleiben. Du musst nicht Sklave deiner Selbsttäuschungen sein.


Der Weg zur Heilung beginnt mit drei einfachen, aber revolutionären Schritten:


1. Wahrhaftigkeit mit dir selbst


Öffne die Blende deines Herzens. Schau hin. Ehrlich. Ohne sofortige Rechtfertigung oder Entschuldigung.


2. Wahrhaftigkeit mit anderen


Finde einen Menschen, dem du vertraust, und teile deine Wahrheit. Nicht um Absolution zu bekommen, sondern um gesehen zu werden.


3. Wahrhaftigkeit vor Gott

Bringe deine Unvollkommenheit vor den, der dich schon kennt – und trotzdem liebt. Der nicht überrascht ist von deinen dunklen Gedanken, weil er sie schon immer gesehen hat.


Die Befreiung der Wahrheit


Als Michael seiner Frau von der Kollegin erzählte, war es das Schwerste, was er je getan hatte. Er rechnete mit Vorwürfen, Tränen, vielleicht sogar mit dem Ende der Ehe.


Stattdessen sagte seine Frau nach langem Schweigen: "Danke, dass du ehrlich warst. Ich weiß, wie schwer das war."


Diese Ehrlichkeit rettete ihre Ehe nicht nur – sie machte sie stärker.


Als Anna ihrer Freundin erzählte, wie unglücklich sie in ihrem Job wirklich war, erwartete sie Kritik. Stattdessen bekam sie Verständnis und den Mut, tatsächlich etwas zu verändern.


Als Lisa endlich zugab, dass sie mit ihrem Leben unzufrieden war, war das nicht das Ende ihrer Geschichte – es war der Anfang einer neuen.


Eine Einladung zur Ehrlichkeit


Vielleicht ist es Zeit, aufzuhören, dich selbst zu belügen. Aufzuhören, die perfekte Fassade aufrechtzuerhalten. Aufzuhören zu tun, als hättest du alles im Griff.


Vielleicht ist es Zeit, die Blende deines Herzens zu öffnen und ehrlich hinzusehen – auf deine Ängste, deine Wünsche, deine Kämpfe, deine Schwächen.


Das ist kein Aufruf zur Selbstzerfleischung. Es ist eine Einladung zur Freiheit.


Denn die Wahrheit über dich selbst – so schmerzhaft sie auch sein mag – ist der erste Schritt zur Veränderung. Und Veränderung ist der erste Schritt zur Heilung.


Du bist nicht allein in deinen Kämpfen. Du bist nicht der einzige Mensch mit dunklen Gedanken und widersprüchlichen Wünschen. Du bist nicht zu kaputt für Heilung oder zu schlecht für Liebe.


Aber du musst bereit sein, ehrlich zu sein. Mit dir selbst. Mit anderen. Mit Gott.


Der erste Schritt


Was würde passieren, wenn du heute den Mut fassen würdest, dir selbst in die Augen zu blicken? Wenn du aufhören würdest, deine eigene Entschuldigungsmaschine zu füttern?

Was würde passieren, wenn du zugeben würdest, was wirklich in deinem Herzen vor sich geht?


Vielleicht würdest du entdecken, dass Ehrlichkeit nicht dein Feind ist – sondern dein erster Schritt in die Freiheit.


"Die Wahrheit wird euch frei machen" (Johannes 8,32) – aber zuerst wird sie dich alles andere als frei fühlen lassen. Der Mut zur Ehrlichkeit ist nicht der einfache Weg. Aber er ist der einzige Weg, der zu wahrer Veränderung führt.

Bist du bereit, ihn zu gehen?



Inspiriert von Jen Pollock Michels "Teach Us To Want: Longing, Ambition and the Life of Faith"


Comments


Archiv

Falls du Fragen hast oder weitere Informationen benötigst, zögere nicht, das Kontaktformular zu nutzen. 

Thanks for submitting!

© 2023 Pastors BLOG.
Rechtliche Hinweise im Impressum
Datenschutzerklärung

bottom of page